Fraumünster: Macht, Visionen und Glasfenster
- zuericitytours
- 5. Mai
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Im Herzen der Zürcher Altstadt erhebt sich eine der geschichtsträchtigsten Kirchen der Stadt: das Fraumünster. Heute vor allem für seine leuchtenden Glasfenster von Marc Chagall und Augusto Giacometti bekannt, war es einst Zentrum weiblicher Macht und religiöser Autorität in der Schweiz.
Eine königliche Gründung mit Vision
Gegründet wurde das Frauenkloster im Jahr 853 von König Ludwig dem Deutschen und seiner Frau Hemma. Legenden berichten von einer Vision ihrer Töchter Berta und Hildegard, die zur Gründung inspirierte. Die erste Äbtissin, Prinzessin Hildegard, erhielt von ihrem Vater nicht nur Land, sondern auch weitreichende Rechte – darunter das Münzrecht. Die Nachfolgerinnen führten das Kloster über 671 Jahre hinweg nach den Regeln des Benediktinerordens.
Die Äbtissinnen als Herrscherinnen
Die Frauen des Fraumünsters stammten aus höchstem europäischem Adel. Sie waren nicht nur geistliche Führerinnen, sondern auch politische Akteurinnen mit enormer wirtschaftlicher Macht. Die Äbtissin repräsentierte die königliche Macht in Zürich, empfing Kaiser, vergab Münzrechte und verwaltete ein weitreichendes Netz aus Gütern – von Zürich über den Thurgau bis ins Elsass.
Diese Position erlaubte es ihnen, wichtige städtische Entscheidungen zu beeinflussen. Neue Gesetze, Verfassungen oder wirtschaftliche Reformen wurden ohne ihre Zustimmung kaum beschlossen.
Architektonische Kraft und künstlerischer Glanz
Das Fraumünster beeindruckt nicht nur durch seine Geschichte, sondern auch durch seine Architektur: Der romanische Chor, das hochgewölbte Querschiff und das im 20. Jahrhundert umgestaltete Langhaus zeigen die Entwicklung von Baukunst und Geisteshaltung.
Weltberühmt sind die farbenprächtigen Chorfenster von Marc Chagall, ebenso wie die Nordfenster von Augusto Giacometti. Im Kreuzgang erzählen Wandgemälde von Paul Bodmer in ausdrucksstarken Farben die Legende der Stadtheiligen Felix und Regula. Diese Kunstwerke machen das Fraumünster nicht nur zu einem historischen, sondern auch zu einem spirituellen und künstlerischen Erlebnis.
Von der Krone zur Bürgerstadt
Mit dem Aufkommen der Reformation endete die Ära der Äbtissinnen. 1524 übergab Katharina von Zimmern, letzte Äbtissin des Fraumünsters, freiwillig Kloster und Kirche an die Stadt Zürich. Damit machte sie den Weg frei für Zwinglis Reformation und öffnete das Tor zur modernen Stadtgesellschaft. Eine Entscheidung, die Weitsicht, Mut und ein tiefes Verantwortungsgefühl für die Zukunft der Stadt beweist.
Archäologie und Dokumentation: Wie das Wissen über das alte Fraumünster erhalten blieb
Als Ende des 19. Jahrhunderts grosse Teile der ehemaligen Klosteranlage dem Bau des heutigen Stadthauses weichen mussten, wurden zuvor kaum bekannte Baureste freigelegt. Besonders bedeutend war der Fund karolingischer Mauerzüge unter dem Chor der Kirche – ein seltener archäologischer Schatz, der auf die Anfänge des Klosters im 9. Jahrhundert zurückgeht.
Die dramatischen Verluste an Bausubstanz bewegten mehrere Zürcher Kunsthistoriker und Architekten jener Zeit dazu, das Fraumünster in seinen historischen Zuständen zu dokumentieren. Sie sammelten alte Pläne, Rechnungen, Bauposten und Zeichnungen aus dem 15. und frühen 16. Jahrhundert und veröffentlichten diese zusammen mit architektonischen Rekonstruktionen. Ihre Arbeit bildet bis heute eine wichtige Grundlage für unser Verständnis der mittelalterlichen Klosteranlage.
Eine Geschichte, die weiterlebt
Heute ist das Fraumünster nicht nur ein Ort der Stille und Besinnung, sondern auch ein lebendiges Kapitel der Zürcher Stadtgeschichte. Auf unseren Stadtführungen durch die Altstadt erzählen wir die Geschichten, die hinter den Mauern verborgen liegen – von der leuchtenden Vision Hildegards bis zur mutigen Geste Katharina von Zimmerns. Das Fraumünster ist Geschichte, die weiterwirkt – Stein für Stein, Licht für Licht.

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