Die Koexistenz von Fürstabtei St. Gallen und reformierter Kirche St. Laurenzen
- zuericitytours
- 7. Dez.
- 16 Min. Lesezeit
Lesinen, Reformation und das doppelte Herz einer Stadt
Wenn man heute durch St. Gallen schlendert, wirkt vieles selbstverständlich:Auf der einen Seite der mächtige barocke Stiftsbezirk mit Kathedrale und Stiftsbibliothek, Sinnbild katholischer Klosterkultur. Auf der anderen Seite die Kirche St. Laurenzen als Zentrum der reformierten Stadtgemeinde.
Doch historisch gesehen ist dieses Nebeneinander eine kleine Sensation. Nur in wenigen europäischen Städten standen sich über Jahrhunderte ein reformierter Stadtstaat und ein katholischer Fürstenstaat so dicht gegenüber – politisch getrennt, wirtschaftlich verflochten, religiös grundverschieden.
Um zu verstehen, warum die Abtei „bleiben durfte“, obwohl die Stadt reformiert wurde, müssen wir einen Bogen schlagen:
von der europäischen Reformation insgesamt,
über die Schweizer Sonderentwicklung,
hin zur lokalen Dynamik der St. Galler Lesinen – jener bibelorientierten Lesegruppen, die den Boden für den Umbruch bereiteten.
1. Reformation: Umgestaltung mit Sprengkraft
Unter „Reformation“ versteht man die Vorgänge des 16. Jahrhunderts, die das westliche Christentum in Alt- und Neugläubige teilten – was wir heute als Katholiken und Protestanten bezeichnen. Ziel war eine reformatio, eine Umgestaltung und Erneuerung von Kirche und Glaube.
Diese Bewegung hatte enorme Sprengkraft: Sie veränderte nicht nur Theologie und Gottesdienst, sondern auch Politik, Gesellschaft und Kultur. Die Schweiz war über Jahrzehnte ein zentrales Labor dieser Entwicklung. Neben Martin Luther in Wittenberg prägten vor allem:
Huldrych Zwingli in Zürich,
Johannes Calvin in Genf
die Form des Protestantismus, der von der Eidgenossenschaft aus nach ganz Europa ausstrahlte.
Die Schweizer Reformatoren waren stark vom Humanismus geprägt. Sie wollten nicht nur theologisch renovieren, sondern auch die Gesellschaft ordnen und den Alltag verändern. Politische und soziale Anliegen mischten sich mit religiösen Forderungen.
Genau diese Verbindung ist für St. Gallen entscheidend – denn hier verbanden sich:
der Wunsch nach kirchlicher Erneuerung,
das Selbstbewusstsein einer reichen Handelsstadt
und die latente Spannung zu einer mächtigen, grundherrlichen Abtei.
2. Vorabend der Reformation: Volksfrömmigkeit, Humanismus und Machtfragen
Um 1500 war die Kirche in Europa alles andere als verschwunden. Die Menschen suchten Seelsorge, Wallfahrten, Heilsangebote – die Volksfrömmigkeit war lebendig. Gleichzeitig entwickelten sich mit der Devotio moderna und der Mystik neue Formen innerlicher, „literater“ Frömmigkeit.
Die Universitätsstadt Basel – einziger Universitätsstandort der damaligen Eidgenossenschaft – zog Humanisten und Buchdrucker an, unter ihnen Erasmus von Rotterdam. Von Basel aus verbreiteten sich Schriften und Ideen in die ganze Schweiz.
Zugleich hatten viele Gemeinden und Städte begonnen, kirchliche Strukturen unter ihre Kontrolle zu bringen:
Weltliche Behörden besetzten zunehmend Pfarrstellen,
bischöfliche Gerichte wurden zurückgedrängt,
Gemeinden sicherten sich Mitspracherechte bei Pfarrerwahl und Kirchengütern.
Diese Konkurrenz zwischen weltlichen und kirchlichen Institutionen bildete den Nährboden für die Reformation – auch in St. Gallen.
Denn hier standen sich zwei Mächte gegenüber:
Die Stadt St. Gallen – reich, selbstbewusst, wirtschaftlich getragen vom Leinwandhandel.
Die Fürstabtei St. Gallen – ein eigenständiger geistlicher Territorialstaat, verwurzelt im Frühmittelalter, mit weitreichender weltlicher und kirchlicher Macht.
Schon vor der Reformation war das Verhältnis beider Seiten konfliktreich – und genau diese Spannung sollte sich im 16. Jahrhundert konfessionell aufladen.
3. Die Schweizer Reformation und das Netzwerk um Zwingli
Als Martin Luther 1517 seine Thesen gegen den Ablass veröffentlichte, waren dies zunächst innerkirchliche Debatten. Doch die Verbreitung seiner Schriften, insbesondere über den Buchdruck, machte sie rasch zum europäischen Thema.
In der Schweiz nahm die Reformation in Zürich ihren sichtbarsten Anfang. Zwingli, seit 1518 Leutpriester am Grossmünster, gelangte um 1520/22 zu den zentralen evangelischen Grundsätzen:
Rechtfertigung allein aus Glauben (sola fide),
alleinige Autorität der Heiligen Schrift (sola scriptura).
Mit der berühmten „Wurstessen“-Aktion 1522, der Kritik am Fastengebot, dem Angriff auf Zölibat, Heiligenkult und Klosterwesen kam es zum Bruch mit der traditionellen Kirche. Der Zürcher Rat stellte sich hinter Zwingli, berief Disputationen ein, säkularisierte Klöster, schaffte 1525 die Messe ab und richtete die Prophezey ein – regelmäßige Bibelauslegungen und Keimzelle der Zürcher Bibelübersetzung.
Von Zürich aus verbreiteten sich die neuen Ideen über ein dichtes Netzwerk von Freunden und Schülern:
Joachim Vadian in St. Gallen,
Reformatoren im Appenzell, in Graubünden, in Bern, Basel und anderen Orten.
Sie waren oft Priester, hatten in Basel studiert und standen dem Humanismus nahe – darunter auch diejenigen, die in St. Gallen zur Schlüsselfigur wurden.
4. St. Gallen vor 1520: Stadt und Kloster als ungleiches Paar
Die Fürstabtei St. Gallen war seit 719 als Kloster gegründet worden und hatte vom 9. bis zum 11. Jahrhundert eine erste kulturelle Hochblüte erlebt.Im 15. Jahrhundert erneuerten Äbte wie Ulrich Rösch das Kloster grundlegend:
Rückkauf verpfändeter Rechte,
Erwerb von Gerichts- und Grundherrschaftsrechten,
Ausbildung eines modernen geistlichen Territorialstaats mit dem Fürstenland als Kerngebiet.
Gleichzeitig setzte sich die Stadt St. Gallen gegen den Abt durch und erwarb 1457 ihre politische Unabhängigkeit. Damit standen sich um 1500 zwei Einheiten gegenüber:
eine freie, reichsstädtisch geprägte Stadt,
und eine Fürstabtei mit eigener Herrschaft und späterem Reichsstandstatus.
Die wirtschaftlichen und sozialen Verflechtungen blieben trotz Konflikten eng:
„Die Gewährung von Freiheiten und die Erhebung St. Gallens zur Reichsstadt beendeten aber weder das politische Zusammengehen noch die wirtschaftlichen und sozialen Verflechtungen zwischen den beiden Körperschaften. Sogar der scharfe konfessionelle Gegensatz nach der Reformation vermochte die gemeinsamen Interessen nicht auf Dauer zu verdrängen.“
Genau dieses „Zueinander und Gegeneinander“ wurde später für das Überleben der Abtei entscheidend.
5. Die Lesinen in St. Gallen: Bibel-Lesekreise als Motor der Stadt-Reformation
Die Reformation in St. Gallen war keine reine „Amtshandlung von oben“, sondern wuchs aus einer sehr lebendigen Laienbewegung. Das zentrale Stichwort dafür lautet:
Lesinen – das war der zeitgenössische Begriff für biblische Lesezirkel.
Unter anderem Johannes Kessler und Joachim Vadian organisierten solche Lesinen in St. Gallen. In diesen Kreisen trafen sich Bürger, Handwerker und Kaufleute, um die Bibel und reformatorische Schriften gemeinsam zu lesen, zu diskutieren und auf ihr eigenes Leben zu beziehen.
Die Lesinen verbanden mehrere Strömungen:
humanistische Textkritik und Sprachsensibilität,
ein wachsendes Bedürfnis nach direktem Zugang zur Heiligen Schrift,
Unzufriedenheit mit kirchlichen Missständen,
das politische Selbstbewusstsein der städtischen Oberschicht und der Zünfte.
Die Reformation in St. Gallen war deshalb kein zufälliger Import aus Zürich, sondern wuchs in einem Klima intensiver, gemeinschaftlicher Textarbeit.
1526 wurden in den Stadtkirchen evangelische Gottesdienste eingeführt; 1527 floh der Abt aus der Stadt, und 1528 wurde in der Abteikirche keine Messe mehr gelesen. Genau hier zeigt sich der Durchschlag der Lesinen: Sie hatten aus Lesern Überzeugte und aus Überzeugten Akteure gemacht.
6. 1529–1532: Bildersturm, Aufhebung – und dann doch die Rückkehr des Abts
Die Dynamik spitzte sich im Laufe der 1520er-Jahre dramatisch zu. Wie in Zürich, Basel und anderen Städten kam es auch in St. Gallen zum Bildersturm, also zur Zerstörung oder Entfernung von Altären, Statuen und Bildern.
Für das Kloster St. Gallen war dies existenziell. Die PDF fasst die Lage so zusammen:
„Das Galluskloster wurde von der zur Reformation übergetretenen Stadt St. Gallen durch den Bildersturm verwüstet und aufgehoben.“
Der Fürstabt und der Konvent flohen. Aus Sicht der Stadt war das Kloster als Institution erledigt – die Reformation schien umfassend: Stadt und klösterlicher Raum standen gleichermaßen unter evangelischer Ordnung.
Doch dann griff die große Politik ein.
Die Spannungen in der Eidgenossenschaft hatten sich inzwischen zugespitzt. Auf der einen Seite standen reformierte Städte wie Zürich, Bern, Basel, St. Gallen, auf der anderen katholische Orte der Innerschweiz. Über Bündnisse („Christliche Vereinigung“, „Christliches Burgrecht“) und Konflikte kulminierte der Streit in den Kappelerkriegen.
1529 konnte ein Krieg noch abgewendet werden; der Erste Kappeler Landfrieden ließ die Koexistenz von katholischen und reformierten Gebieten zu.
1531 kam es zum offenen Krieg: Zürich und seine Verbündeten verloren, Zwingli fiel auf dem Schlachtfeld.
Der Zweite Kappeler Landfrieden schrieb fest, dass jeder Ort bei seinem Glauben bleiben durfte. Gleichzeitig eröffnete dieses Ergebnis den katholischen Orten die Möglichkeit, in ihren Einflussbereichen die Reformation zurückzudrängen.
Genau das geschah im Gebiet der Fürstabtei St. Gallen.
7. Warum das Kloster bleiben durfte: Politische, rechtliche und soziale Gründe
Nach 1531 standen die politischen Vorzeichen anders. Die katholischen Orte hatten wieder Oberwasser und sorgten dafür, dass die Abtei St. Gallen als katholische Macht restauriert wurde.
„Nach dem Sieg der Altgläubigen bei Kappel konnten Abt und Konvent aus dem Exil wieder zurückkehren.“
Doch warum konnte das Kloster dauerhaft weiterbestehen, obwohl die Stadt reformiert blieb? Dafür lassen sich fünf Hauptgründe nennen:
7.1 Stadt und Abtei waren zwei verschiedene Herrschaften
Die Stadt St. Gallen hatte bereits 1457 ihre politische Unabhängigkeit von der Abtei erkauft. Sie war ein eigenes Gemeinwesen, ein quasi reichsstädtischer Stadtstaat. Die Abtei hingegen regierte das Umland – das Fürstenland und weitere Herrschaftsgebiete.
Die Reformation der Stadt konnte das Kloster politisch nicht automatisch beseitigen. Die Stadt konnte das Kloster zwar militärisch bedrohen und zeitweise besetzen, aber nicht dauerhaft rechtlich aufheben, weil es sich um einen eigenständigen, mit dem Reich verbundenen Herrschaftsträger handelte.
7.2 Die katholischen Orte der Eidgenossenschaft schützten die Abtei
Nach dem Sieg von Kappel hatten die katholischen Orte einen klaren Machtvorteil. Sie verstanden die Fürstabtei St. Gallen als wichtigen katholischen Gegenpol im Osten der Schweiz. Deshalb drängten sie auf die Wiederherstellung des Klosterstaates.
Ohne diesen Druck wäre die Stadt kaum bereit gewesen, die Abtei wieder zuzulassen.
7.3 Die Abtei war Reichsstand mit eigener Stellung im Heiligen Römischen Reich
Die Fürstabtei St. Gallen war nicht nur ein Kloster, sondern auch ein Reichsstand. Sie stand in einem besonderen Verhältnis zu Kaiser und Reich und betrachtete sich bis zum Schluss als „exemter Reichsstand“.
Das verschaffte ihr zusätzliche Legitimation und Schutz – gegen die Ansprüche einer einzelnen Stadt oder eines eidgenössischen Ortes. Die Abtei spielte bewusst mit dieser Doppelrolle: Einerseits Zugewandter Ort der Eidgenossenschaft, andererseits Teil der „Germania sacra“, also der Reichskirche.
7.4 Die Bevölkerung des Fürstenlands blieb überwiegend katholisch
Die Reformation fand vor allem in der Stadt St. Gallen starke Verankerung. Auf dem Land war die Situation komplexer. Nach 1531 nutzte der Fürstabt seine Macht, um Teile seiner Untertanen zur Rückkehr zum alten Glauben zu zwingen.
„Die weltliche Herrschaft des Gallusstiftes widmete sich stark der Rekatholisierung und der katholischen Konsolidierung.“
Die Abtei konnte somit auf eine weitgehend katholisch gebliebene oder rekatholisierte Landbevölkerung bauen. Sie war nicht in dem Maß „innerlich ausgehöhlt“ wie manche süddeutsche Klöster.
7.5 Stadt und Kloster blieben wirtschaftlich abhängig voneinander
Trotz aller Gegensätze waren Stadt und Kloster eng wirtschaftlich verflochten: Handel, Märkte, Gewerbe, Abgaben, Zölle – all das funktionierte nur im Zusammenspiel.
Die PDF betont, dass selbst der scharfe konfessionelle Gegensatz nach der Reformation die gemeinsamen Interessen nicht dauerhaft zu verdrängen vermochte.
Eine totale Vernichtung des Klosters hätte auch wirtschaftliche Verwerfungen bedeutet. Die letztlich pragmatische Haltung beider Seiten – bei aller Polemik – trug dazu bei, dass die Doppelstruktur Bestand hatte.
8. Die lange Koexistenz: Reformierte Stadt und katholischer Klosterstaat
Nach 1532 entwickelte sich St. Gallen zu einem einzigartigen Doppelgefüge.
Die Stadt St. Gallen
blieb beim neuen Glauben,
verankerte eine reformierte Kirchenordnung nach Zürcher Vorbild,
machte St. Laurenzen zur zentralen Stadtkirche,
setzte auf Predigt, Bibel, Gemeindestrukturen und Sittengerichte.
Bürger und Zünfte blieben eine treibende Kraft der Reformation, und St. Gallen war eng mit Zürich und Bern verbunden, wenn es um die Verbreitung protestantischer Ideen in der Ostschweiz ging – etwa im Thurgau, im Toggenburg und unter den st.gallischen Untertanen.
Die Fürstabtei St. Gallen
Die Abtei nutzte die Epoche der Katholischen Reform und des Barock, um ihre Position zu stärken:
Sie betrieb eine umfassende Rekatholisierung ihres Herrschaftsgebiets.
Ein Konkordat von 1613 (1748 erneuert) mit dem Bistum Konstanz gab dem Abt quasibischöfliche Rechte über Dutzende Pfarreien: Er konnte Seelsorgepriester einsetzen, Pfründen verleihen und Visitationen durchführen.
Im 17. und 18. Jahrhundert erlebte die Abtei eine zweite Blüte, sichtbar in der barocken Stiftskirche und der berühmten Bibliothek.
Die Fürstabtei war nun nicht mehr bloß Kloster, sondern zugleich eine art „Mini-Bistum“ und Territorialstaat.
9. Säkularisation 1805: Ende des Klosterstaates, Fortleben des Erbes
Mit der Helvetischen Republik (1798) und der Mediationszeit (1803) geriet die alte Ordnung unter Druck. Während im Reich die Reichskirche 1803 im Reichsdeputationshauptschluss zerschlagen wurde, kam es auch in St. Gallen zur entscheidenden Wende.
1798 wurde die fürstäbtische Herrschaft aufgehoben – eine Herrschaftssäkularisation.
1805 beschloss der Kanton St. Gallen die endgültige Gütersäkularisation: Die Abtei wurde aufgehoben, ihr Besitz verstaatlicht.
Gleichzeitig gingen Teile des kirchlichen Erbes in den katholischen Konfessionsteil über; später entstand das Bistum St. Gallen. Aus der Abtei wurde Kathedrale und Stiftsbezirk, aus dem Fürstenland ein Teil des modernen Kantons.
Trotz Aufhebung blieb das doppelte Erbe sichtbar:
die reformierte Stadtkirche St. Laurenzen als Ausdruck der städtisch-bürgerlichen Reformation,
der Stiftsbezirk als Monument katholisch-barocker Klosterkultur.
10. Fazit: Lesinen, Doppelherrschaft und die besondere Rolle St. Gallens
Die Reformation war in St. Gallen weder ein reines Produkt städtischer Machtpolitik noch nur ein theologisches Ereignis. Sie war:
vorbereitet durch Lesinen, die Bibel und reformatorische Schriften im Kreis von Laien erschlossen,
getragen von einem humanistisch geprägten Bürgertum,
zugespitzt durch politische Konflikte zwischen Stadt und Abtei,
eingebettet in die gesamtschweizerische Reformations- und Bündnispolitik.
Die Abtei „durfte bleiben“, weil:
sie rechtlich eigenständig und reichsunmittelbar war,
die katholischen Orte der Eidgenossenschaft sie stützten,
ihr Territorium weitgehend katholisch blieb oder rekatholisiert wurde,
Stadt und Kloster wirtschaftlich voneinander abhängig waren.
So entstand eine über Jahrhunderte stabile Konstellation zweier Loyalitäten:reformierte Stadt – katholischer Klosterstaat.
Bis heute prägen diese zwei Wurzeln das Gesicht von St. Gallen: im Stadtbild, in den Kirchen, in den Erzählungen der lokalen Geschichte – und in der ganz konkreten Erfahrung, dass religiöse Vielfalt nicht nur trennen, sondern auch zu einem Spannungsfeld kreativer Koexistenz werden kann.
Tabellen
Tabelle A – Europäische und Schweizer Reformation (Kontext zum Einstieg)
Zeitraum / Jahr | Ort / Region | Ereignis / Entwicklung | Bezug zum Blog |
14.–15. Jh. | Europa, Schweiz | Innerkirchliche Reformforderungen, neue Frömmigkeitsformen (Devotio moderna, Mystik). | Hintergrund: Spannungsfeld vor der Reformation. |
ca. 1450–1500 | Schweiz, v. a. Basel | Humanismus, Buchdruck, Erasmus von Rotterdam in Basel; literate Frömmigkeit. | Rahmen für humanistisch geprägte Reformatoren, auch in St. Gallen. |
Ende 15. Jh. | Verschiedene Orte | Gemeinden sichern sich Mitspracherechte bei Pfarrerwahl und Kirchengütern. | Konkurrenz zwischen weltlicher und geistlicher Macht – wichtig für spätere Reformation. |
1517 | Wittenberg | Martin Luther veröffentlicht seine 95 Thesen zum Ablass. | Beginn der Reformationsbewegung im Reich, Bezug im Einleitungsabschnitt. |
1518–1522 | Zürich | Zwingli entwickelt seine reformatorischen Positionen (sola fide, sola scriptura). | Vorbildfunktion für St. Gallen, Verbindung über das Zwingli-Netzwerk. |
1522–1525 | Zürich | Bruch mit Fastengebot, Bildersturm, Säkularisation von Klöstern, Einführung neuer Ordnung. | Zürcher Modell, das in St. Gallen genau beobachtet wird. |
ab 1520er Jahre | Ganze Schweiz | Verbreitung der Reformation über Zwinglis Freundesnetz (u. a. Vadian in St. Gallen). | Bindeglied zwischen Zürcher Reformation und St. Galler Lesinen. |
1523–1525 | Bern, Basel, St. Gallen, Appenzell | Predigtmandate: Nur „schriftgemässe“ Predigt; erste Schritte zur Reformation. | Rahmenbedingungen, unter denen die St. Galler Lesinen entstehen. |
1528 | Bern | Berner Disputation, Einführung der Reformation. | Stärkt das reformierte Lager, Rückenwind für städtische Reformbewegungen. |
1529 | Eidgenossenschaft | Erster Kappelerkrieg, Erster Kappeler Landfrieden: Koexistenz von alt- und neugläubigen Orten. | Grundlage für das Nebeneinander verschiedener Konfessionen, auch in Ostschweiz. |
1531 | Eidgenossenschaft | Zweiter Kappelerkrieg, Niederlage Zürichs, Tod Zwinglis. | Machtverschiebung zugunsten der katholischen Orte – entscheidend für die Wiederherstellung der Abtei. |
1531/1532 | Eidgenossenschaft | Zweiter Kappeler Landfrieden: „Jeder Ort bei seinem Glauben“ – Rückschläge für Reformation in Ostschweiz. | Rahmen, in dem der Abt von St. Gallen zurückkehrt und rekatholisiert. |
2. Hälfte 16. Jh. | Schweiz | Konsolidierung der Konfessionen, Ausbildung klarer konfessioneller Identitäten. | Hintergrund für das langfristige Nebeneinander reformierter Stadt und katholischer Abtei. |
17. Jh. | Schweiz, Europa | Konfessionalisierung, katholische Reform, Gegenreformation, calvinistische Konsolidierung. | Einbettung der Fürstabtei in katholische Reform, Stärkung des Klosterstaates. |
18. Jh. | Schweiz, Reich | Allmähliche Aufweichung der alten Strukturen, aber fortbestehende konfessionelle Spannungen. | Langfristiger Kontext vor Säkularisation und Aufhebung der Fürstabtei. |
Tabelle B – Stadt und Fürstabtei St. Gallen (langfristige Entwicklung)
Zeitraum / Jahr | Ort / Akteur | Ereignis / Entwicklung | Bezug zum Blog |
719 | Kloster St. Gallen | Gründung der Abtei durch Otmar an der Gallusgrabstätte. | Ausgangspunkt des Klosterstaates, auf den mehrfach Bezug genommen wird. |
9.–11. Jh. | Abtei St. Gallen | Erste kulturelle Hochblüte: Schriftkultur, Liturgie, Musik, Bildung. | Hintergrund für die Bedeutung der Abtei als geistiges Zentrum. |
12.–14. Jh. | Stadt und Kloster | Entstehung und Wachstum der Stadt vor dem Kloster; zunehmende Spannungen. | Frühphase des Stadt–Kloster-Konflikts. |
15. Jh. | Abt Ulrich Rösch | Neuorganisation der Herrschaft, Aufbau des Fürstenlands, Rückkauf verpfändeter Rechte. | Bildung eines klar strukturierten Klosterterritoriums, das später rekatholisiert wird. |
1457 | Stadt St. Gallen | Stadt erkauft ihre politische Unabhängigkeit vom Abt. | Schlüsselpunkt: Stadt und Kloster werden getrennte Herrschaften. |
15.–frühes 16. Jh. | Stadt und Abtei | Fortdauernde Verflechtung trotz politischer Trennung; Stadt als wirtschaftliches Zentrum. | Erklärt die spätere ökonomische Abhängigkeit beider Seiten. |
ab ca. 1520 | Stadt St. Gallen | Reformatorische Ideen gewinnen an Boden, v. a. durch Humanismus und Netzwerke zu Zürich/Basel. | Direkte Vorgeschichte der Lesinen. |
1520er Jahre | Stadt St. Gallen | Bildung von Lesinen (biblische Lesezirkel) unter Kessler, Vadian u. a. | Kernstück der städtischen Reformationsbewegung im Blog. |
1526 | Stadt St. Gallen | Einführung evangelischer Gottesdienste in den Stadtkirchen. | Sichtbarer Durchbruch der Reformation in der Stadt. |
1527–1528 | Stadt & Kloster | Flucht des Abts, Einstellung der Messe in der Abteikirche, Bildersturm. | Kurzzeitige faktische Aufhebung des Klosters. |
1529 | Stadt & Abtei | Radikalisierung durch Bildersturm, kirchliche Umgestaltung im städtischen Einflussbereich. | Höhepunkt der städtischen Reforminitiativen gegen das Kloster. |
1531 | Eidgenossenschaft | Zweiter Kappelerkrieg, Niederlage der Reformierten. | Politische Voraussetzung für die Wiederherstellung der Fürstabtei. |
1532 | Abtei St. Gallen | Rückkehr von Abt und Konvent, Wiederherstellung der Abtei als katholischer Herrschaftsträger. | Wendepunkt: Beginn der langfristigen Koexistenz. |
16.–17. Jh. | Fürstabtei St. Gallen | Rekatholisierung des Fürstenlands, Aufbau einer quasibischöflichen Jurisdiktion (Konkordat 1613, Erneuerung 1748). | Festigung der Abtei als geistliche und weltliche Macht. |
17.–18. Jh. | Stiftsbezirk | Barocke Neuerrichtung von Kirche, Pfalz und Bibliothek, zweite Blüte der Abtei. | Sichtbarer Ausdruck des „zweiten Goldenen Zeitalters“ der Abtei. |
1798 | Fürstabtei / Helvetik | Aufhebung der fürstäbtischen Herrschaft (Herrschaftssäkularisation). | Beginn des Endes der politischen Doppelstruktur. |
1803 | Kanton St. Gallen | Gründung des Kantons St. Gallen (Mediation). | Neue staatliche Rahmenordnung. |
8. Mai 1805 | Kanton / Abtei | Endgültige Aufhebung der Abtei, Gütersäkularisation; Stiftsbezirk wird staatliches und kirchliches Erbe. | Abschluss der im Blog beschriebenen Entwicklung, Übergang zur modernen Ordnung. |
Tabelle C – Lesinen und lokale Reformationsdynamik in St. Gallen
Zeitraum / Jahr | Person(en) / Gruppe | Ereignis / Aktivität | Bezug zum Blog |
frühe 1520er | Humanistenkreis St. Gallen | Aufnahme reformatorischer Schriften (Luther, Zwingli) in städtischen Kreisen. | Hintergrund: intellektuelle Vorbereitung der Reformation in der Stadt. |
ab ca. 1520/21 | Johannes Kessler, Joachim Vadian u. a. | Bildung der Lesinen – biblische Lesezirkel in St. Galler Häusern. | Kernbegriff: Lesinen als Motor der Stadt-Reformation. |
1523–1525 | Teilnehmer der Lesinen | Intensives gemeinschaftliches Lesen und Diskutieren von Bibel und Flugschriften; Laien erarbeiten sich reformatorische Überzeugungen. | Erklärt, warum die Reformation in St. Gallen „von unten“ getragen wird. |
1525 | Stadt, Lesinen, Rat | Zunehmender Druck auf die Obrigkeit, sich zur Reformation zu positionieren; Reformpredigten gewinnen Raum. | Direkte Folge der Lesinen: politischer Einfluss der reformfreundlichen Kreise. |
1525–1526 | Vadian, städtische Elite | Vadian wird 1525 zum Bürgermeister gewählt; ab 1526 offizielle evangelische Gottesdienste in den Stadtkirchen. | Politische Umsetzung der in den Lesinen gereiften Überzeugungen. |
1527 | Fürstabt, Stadt, Lesinen | Flucht des Abts aus St. Gallen; reformatorische Kräfte dominieren den Stadtraum. | Kulminationspunkt der städtischen Reformation. |
1528 | Stadt / Abteikirche | In der Abteikirche werden keine Messen mehr gelesen; faktische Einbeziehung in das reformierte System. | Zeigt, wie weit die städtische Reformation ins Klostergebiet hineinwirkt. |
1529 | Stadt, Reformbewegung | Bildersturm und radikale Umgestaltung des kirchlichen Lebens; Lesinen bleiben geistiges Rückgrat. | Verschärfung des Bruchs zwischen Stadt und Abtei. |
1531–1532 | Stadt, Abtei, Eidgenossen | Niederlage bei Kappel, Rückkehr des Abts, Wiederherstellung der Abtei – trotz weiterhin reformierter Stadt. | Wendepunkt: Ende der „reinen“ Stadt-Revolution, Beginn der Doppelstruktur. |
nach 1532 | Reformierte Stadtgemeinde | Fortführung der reformierten Ordnung (Predigt, Bibelorientierung, Sittenzucht) unter veränderten politischen Rahmenbedingungen. | Lesinen-Tradition schlägt sich langfristig in einer bibelorientierten Stadtkultur nieder. |
Tabelle D – Koexistenz von reformierter Stadt und katholischer Fürstabtei St. Gallen (1532–1805)
Zeitraum / Jahr | Akteur(e) / Bereich | Ereignis / Entwicklung | Bedeutung für die Doppelstruktur |
1532 | Fürstabt, Konvent, Eidgenössische Orte | Rückkehr des Abts nach dem Zweiten Kappelerkrieg; Wiederherstellung der Abtei als katholische Herrschaft. | Beginn der konfessionellen Doppelstruktur: Stadt bleibt reformiert, Abtei wird restauriert. |
1530er–1540er | Stadt St. Gallen | Konsolidierung der evangelischen Ordnung: Predigtzentrierte Liturgie, Gemeindestrukturen, kirchliche Disziplin (Sittenzucht). | Reformierte Identität der Stadt stabilisiert sich trotz katholischer Nachbarschaft. |
1530er–1550er | Fürstabtei St. Gallen | Erste Phase der Rekatholisierung im Fürstenland; Wiederbesetzung von Pfarreien, Anpassung der Seelsorge. | Katholische Stabilisierung des ländlichen Umfelds der Stadt. |
1560er–1590er | Stadt und Abtei | In der Eidgenossenschaft bilden sich klarere konfessionelle Profile; konfessionelle Grenzen verfestigen sich. | Das Nebeneinander wird zur dauerhaften Realität und nicht mehr kurzfristige Ausnahme. |
1580er–1600er | Fürstabtei | Beginn der barocken Bautätigkeit, geistige Erneuerung und ordensinterne Reformen. | Sichtbares Erstarken des katholischen Klosterstaates, auch im Stadtbild erkennbar. |
1613 | Fürstabtei und Bistum Konstanz | Abschluss des Konstanzer Konkordats: Der Abt erhält quasibischöfliche Rechte (z. B. Priesterweihe, Visitationen). | Bedeutende Stärkung des Abtes als geistliche Autorität – eine Art „territorialer Bischof“. |
1640er–1700 | Stadt St. Gallen | Reformierte Stadt pflegt humanistische Bildungsstrukturen, Schulen, Predigtkultur und städtische Moralordnung. | Die Stadt entwickelt eine klare reformierte Identität als Gegenpol zur katholischen Abtei. |
1680–1720 | Fürstabtei | Höhepunkt der barocken Bautätigkeit; prächtige Klosteranlage, Bibliothek und Pfalz entstehen. | Der Stiftsbezirk wird zum Symbol katholischer Macht direkt neben der reformierten Stadt. |
1748 | Abtei und Bistum Konstanz | Erneuerung des Konstanzer Konkordats; Bestätigung der quasi-bischöflichen Rechte des Abts. | Institutionelle Festigung der katholischen Abtei unmittelbar vor ihrem letzten Jahrhundert. |
18. Jh. | Stadt & Abtei | Weiterbestehen der funktionalen Verflechtungen: Handel, Märkte, Rechtsprechung und Nachbarschaftskonflikte. | Trotz konfessioneller Trennung bleibt man wirtschaftlich voneinander abhängig. |
1798 | Helvetische Republik | Aufhebung der fürstäbtischen Herrschaft (Herrschaftssäkularisation). | Ende der politischen Macht des Abts, aber Kloster als Institution besteht noch. |
1803 | Kanton St. Gallen | Gründung des Kantons St. Gallen in der Mediation; Stiftsbezirk erhält neuen staatlichen Rahmen. | Übergang von zwei getrennten Herrschaften zu einer kantonalen Ordnung. |
8. Mai 1805 | Grosser Rat St. Gallen | Endgültige Aufhebung der Abtei (Gütersäkularisation). | Schlussstein der Doppelstruktur – der Stiftsbezirk bleibt, das Kloster als Herrschaft endet. |
ab 1805 | Stadt, Kanton, Kirchen | Stiftsbezirk wird staatliches Kulturgut; Stadt bleibt reformiert; katholischer Konfessionsteil entsteht. | Nachleben der Doppelidentität: kulturell sichtbar, politisch überwunden. |
Tabelle E – Die wichtigsten Personen der St. Galler Reformation und Koexistenz
Person | Lebensdaten | Rolle / Bedeutung | Bezug zur Reformation in St. Gallen |
Gallus | † 640 | Irischer Mönch, Einsiedler | Seine Zelle bildet den Ursprung der Klostergründung (später St. Gallen). |
Otmar | † 759 | Gründer und erster Abt der Abtei St. Gallen | Aufbau des Klosters; Grundlage für die spätere Fürstabtei. |
Ulrich Rösch | Abt 1463–1491 | Neubegründer des fürstäbtischen Territoriums, Modernisierer | Schafft den frühneuzeitlichen Klosterstaat, der später rekatholisiert wird. |
Joachim von Watt (Vadian) | 1484–1551 | Humanist, Arzt, Bürgermeister; leitende Figur der St. Galler Reformation | Organisiert Lesinen, führt Reformation in der Stadt, prägt politische Umsetzung. |
Johannes Kessler | 1502–1574 | Reformatorischer Chronist, Autor des „Sabbata“ | Augenzeuge; berichtet über Lesinen, Stadt-Reformation und Konflikte. |
Huldrych Zwingli | 1484–1531 | Reformator in Zürich | Theologisches Vorbild; Netzwerkpartner Vadians; Einfluss auf Lesinen und städtische Reform. |
Johannes Dörig, Walter Klarer, Johannes Hess | frühes 16. Jh. | Reformatoren im Appenzell, später Einfluss auf SG | Verbunden mit St. Galler Reformbewegung. |
Sebastian Hofmeister | ca. 1476–1533 | Reformator, nach Luzern vertrieben, wirkt in Schaffhausen | Teil des ostschweizerischen Reformnetzwerks, verbreitet Ideen, die auch SG erreichen. |
Caspar Megander | 1495–1545 | Zwinglianischer Reformator | Begleiter und Unterstützer der St. Galler Reformpredigten. |
Der unbekannte Kreis der Lesinen-Mitglieder | ca. 1520–1530 | Handwerker, Kaufleute, Bürger | Herzstück der St. Galler Reformation – sie tragen den Umbruch von unten. |
Fürstabt Diethelm Blarer von Wartensee | reg. 1530–1564 | Abt zur Zeit der Reformation | Muss 1527 fliehen; kehrt 1532 zurück; leitet Rekatholisierung des Fürstenlands. |
Fürstabt Bernhard Müller | reg. 1594–1630 | Konsolidierer der katholischen Abtei | Stärkt katholische Reform; bereitet barocke Bauphase vor. |
Fürstabt Cölestin Gugger von Staudach | reg. 1740–1767 | Bauherr der barocken Stiftskirche | Repräsentiert den Höhepunkt des katholischen Klosterstaates. |
Heinrich Bullinger | 1504–1575 | Nachfolger Zwinglis, Reformator | Schafft kirchliche Stabilität in der Ostschweiz nach 1531; Einfluss auf SG. |
Johannes Calvin | 1509–1564 | Reformator in Genf | Indirekter Einfluss: St. Gallen beobachtet calvinistische Entwicklungen im Westen. |
Politische Führungsgruppen der Stadt SG | 16.–18. Jh. | Bürgermeister, Ratsherren | Träger der reformierten Stadtordnung über Jahrhunderte. |
Äbte des späten 18. Jh. (u. a. Abt Beda Angehrn) | reg. 1767–1796 | Reformabtei, Modernisierer | Stehen vor dem Zusammenbruch der alten Ordnung; letzte Phase der Doppelherrschaft. |
Helvetische Behörden und Kanton St. Gallen | 1798–1805 | Staatsorgane des Übergangs | Setzen Säkularisation um; beenden formell die Doppelstruktur. |
Tabelle F – Wichtige Begriffe der St. Galler Reformation und Koexistenz
Begriff | Bedeutung | Funktion im St. Galler Kontext |
Lesinen | Biblische Lesezirkel; gemeinschaftliche Bibelstudien in Bürgerhäusern | Motor der St. Galler Reformation; Basis der Laienbeteiligung; geistiger Nukleus der Stadt-Reformation. |
Reformation | Kirchliche Umgestaltung des 16. Jh.; Spaltung in alt- und neugläubige Gemeinden | St. Gallen wird zur reformierten Stadt, das Fürstenland bleibt katholisch. |
Bildersturm | Entfernung/Zerstörung religiöser Bilder und Altäre | In St. Gallen 1529 besonders radikal – Auslöser für die Flucht des Abts. |
Zweiter Kappelerkrieg (1531) | Krieg zwischen reformierten und katholischen Orten | Wendepunkt: Niederlage Zürichs → Rückkehr des Abts → Wiederherstellung des Klosters. |
Zweiter Kappeler Landfrieden | Religionsfrieden 1531: Jeder Ort bei seinem Glauben | Ermöglicht das Nebeneinander von reformierter Stadt und katholischem Klosterstaat. |
Fürstenland | Territorium der Fürstabtei St. Gallen | Bleibt katholisch; Abt hat dort weltliche und geistliche Macht. |
Reichsstand | Direkte Zugehörigkeit eines Klosters zum Reich unter dem Kaiser | Rechtlicher Schutz der Abtei gegen städtische Aufhebung. |
Rekatholisierung | Rückführung der Untertanen zum katholischen Glauben | Erfolgreich im Fürstenland ab 1532; stabilisiert den Klosterstaat. |
Quasi-bischöfliche Rechte | Abt besitzt bischofsähnliche Vollmachten (Priesterwahl, Visitation, Pfründen) | Verleiht der Abtei kirchliche Autorität über ihr ganzes Territorium. |
Konkordat von 1613 (Erneuerung 1748) | Vertrag zwischen Abtei und Bistum Konstanz | Legitimiert die quasi-bischöfliche Stellung des Abts. |
Klosterstaat / Fürstabtei | Territoriale, politische und geistliche Einheit unter einem Abt | Katholisches Gegenstück zur reformierten Stadt; existiert bis 1805. |
Prophezey (Zürich) | Bibelauslegungsschule, Schöpfung Zwinglis | Vorbild für die Lesinen und die bibelorientierte Kultur St. Gallens. |
Säkularisation (1798–1805) | Aufhebung kirchlicher Herrschaftsrechte, Verstaatlichung des Klosterguts | Beendet die Doppelstruktur von Stadt und Fürstabtei. |
Stiftsbezirk | Klosteranlage mit Kirche, Bibliothek, Pfalz | Heute Weltkulturerbe – materielles Erbe des katholischen Teils der Doppelgeschichte. |
St. Laurenzen | Hauptkirche der reformierten Stadt St. Gallen | Symbol und Zentrum des städtischen Protestantismus. |
Koexistenz | Nebeneinander zweier konfessionell und politisch unterschiedlicher Mächte | Kernbesonderheit der St. Galler Geschichte zwischen 1532 und 1805. |
Quellen und Literatur
1. Zur Fürstabtei St. Gallen und ihrer Rechtsstellung
2005-fuerstabtei-stgallen-3-906616-75-4-pdfa.pdf– besonders S. 60 (Territorialstaat, Unabhängigkeit der Stadt),– S. 62–63 (Reformation, Rekatholisierung, Stellung als Reichsstand, Verhältnis zu Kaiser und Eidgenossenschaft),– S. 91 (zweite Blüte in Barockzeit, Übergang zum Bistum St. Gallen),– S. 125 (Reformationswirren, Bildersturm, Rückkehr des Abts nach Kappel),– S. 130 (Verflechtung von Stadt und Abtei trotz Konfessionsgegensätzen).
2. Zur Reformation in der Schweiz allgemein
Historischer Lexikon der Schweiz (HLS): Artikel „Reformation“, Autorin: Caroline Schnyder (voller Text von dir zitiert).
G. W. Gordon: The Swiss Reformation, Manchester 2002.
O. Fatio: Die Reformation verstehen, Zürich 2005.
Ökumenische Kirchengeschichte der Schweiz, hrsg. von L. Vischer u. a., Zürich 1994/1998.
3. Zur Reformation und den Lesinen in St. Gallen
Emil Egli: Die St. Galler Reformation und Joachim Vadian.
Werner Vogler: St. Galler Geschichte, besonders Band zur Reformationszeit.
Studien zu Johannes Kessler (Sabbata) und den St. Galler Lesinen (biblischen Lesekreisen).






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