St. Peter Zürich
- zuericitytours
- 13. Juli
- 5 Min. Lesezeit
Glocken, Turm und Tonhöhe im Wandel der Zeit
Der Kirchturm von St. Peter in Zürich zählt zu den bedeutendsten Wahrzeichen der Stadt. Bekannt für das grösste Turmzifferblatt Europas, blickt er auf eine bewegte Geschichte zurück – als Feuerwachturm, Zeitgeber, Grabkirche und reformiertes Zentrum. In diesem Beitrag betrachten wir nicht nur St. Peter, sondern auch das kulturelle und handwerkliche Umfeld europäischer Kirchtürme: von Glockenguss und Frequenzen bis zur Architektur.
🏙️ St. Peter in der Stadtgeschichte
St. Peter ist eine der fünf Altstadtkirchen von Zürich und prägt zusammen mit dem Gross- und Fraumünster die Silhouette der Stadt. Sie steht auf einem Hügel in der linksufrigen Altstadt, nahe dem Lindenhof – dort, wo einst die römische Siedlung Turicum und später die kaiserliche Pfalz lagen.
Der Ort wurde bereits im 8. oder 9. Jahrhundert kirchlich genutzt; ein Kirchenbau von 10 × 7 Metern wurde archäologisch nachgewiesen. Eine Urkunde aus dem Jahr 857 erwähnt erstmals den "curtis sancti Petri", einen zur Kirche gehörenden Wirtschaftshof.
Um 1000 wurde eine frühromanische Kirche errichtet, die um 1230 durch einen Neubau im spätromanischen Stil ersetzt wurde. Chor und Turm stammen aus dieser Zeit. 1360 wurde im Chor Rudolf Brun, der erste Bürgermeister Zürichs, bestattet. Eine Kopie seiner Grabplatte befindet sich an der nördlichen Aussenwand.
Das heutige Kirchenschiff wurde 1705–1706 als barocker Emporensaal errichtet und war die erste Kirche, die in Zürich nach der Reformation neu gebaut wurde. Bereits im Juni 1705 wurde die mittelalterliche Vorgängerkirche abgetragen. Das Richtfest feierte man noch im selben Jahr mit 153 Pfund Fleisch und 165 Litern Wein. Der Innenausbau mit Stuckaturen von Salomon Bürkli und Franz Schmuzer wurde 1706 vollendet.
Die Einweihung erfolgte am 14. November 1706. Restaurierungen fanden zuletzt in den 1970er-Jahren statt.
🏰 Turm & Zifferblatt
Eine Besonderheit an St. Peter ist, dass Turm und Kirchenschiff verschiedene Eigentümer haben. Bis 1798 gehörte der Turm dem Stadtstaat Zürich, seit 1803 tritt die Stadt Zürich für seine Rechte ein. Die weltliche Behörde nutzte den Turm vor allem für feuerpolizeiliche Aufgaben. Schon 1340 wurde der erste Hochwächter (Feuerwächter) eingesetzt. Diese Funktion bestand bis 1911.
Der Turm befindet sich bis heute im Besitz der Stadt Zürich. Glockenstuhl, Glocken und der Anbau mit Treppenhaus gehören hingegen der reformierten Kirchgemeinde. Diese Aufteilung führt zu einer Besonderheit: Stockwerkeigentum im Kirchturm zwischen weltlicher Stadt und geistlicher Gemeinde.
Der ursprünglich turmlose frühromanische Bau erhielt Anfang des 13. Jahrhunderts seinen ersten massiven, dreigeschossigen Turm. Das unterste Geschoss mit romanischem Rundbogen-Kreuzrippengewölbe ist noch original erhalten. Um 1450 erfolgte eine Erhöhung samt neuem Helm. Auf 40 Metern Höhe beginnt der 24 Meter hohe achteckige Spitzhelm, der zuletzt 1996 mit 42’000 Lärchenschindeln aus dem Engadin neu gedeckt wurde. Von der ehemaligen Wachtstube bietet sich ein weiter Blick über die Stadt.
Das Zifferblatt an der Südseite des Turms hat einen Durchmesser von 8,64 Metern und ist damit das grösste Turmzifferblatt Europas.
🔔 Kirchenglocken
Bis zum 1. Juni 1880 hingen im Turm von St. Peter sechs Glocken unterschiedlichen Alters. Die älteste, eine Schlagglocke von 1294, wurde wegen fehlender klanglicher Harmonie und statischer Probleme des Glockenstuhls ausgemustert und dem Landesmuseum als Dauerleihgabe übergeben.
Der neue Glockenstuhl wurde aus Eisen gefertigt, da Eichenholz knapp war. Im April 1880 goss die Gießerei Keller in Zürich-Unterstrass fünf neue Glocken:
Totenglocke (As)
Rufglocke / 11-Uhr-Glocke (C)
Betzeitglocke (Es)
Sturmglocke (As)
Taufglocke (C’)
Bis 1927 wurden die Glocken von Hand geläutet, dann erhielt die grosse Glocke ein elektrisches Läutwerk. Seit 1957 sind alle Glocken elektrisch betrieben.
🕒 Das Uhrwerk
Bereits 1366 wurde im Turm eine erste Uhr mit mechanischem Schlagwerk eingebaut, die nur die vollen Stunden anzeigte. Im Laufe der Jahrhunderte wurde das Zeitgefühl der Stadt verfeinert: ab 1460 Viertelstunden-Schlag, ab 1538 vier gemalte Zifferblätter auf allen Seiten des Turms.
Ein wichtiges Uhrwerk entstand 1538 unter Hans Luterer, wurde 1593/94 ersetzt und 1675 durch Friedrich Bachofen zur Pendeluhr umgebaut. 1826 musste ein Uhrenrichter mit einem Flaschenzug die Gewichte täglich aufziehen.
1844 entstand ein neues Werk mit Viertelstundenschlag durch den Uhrmacher Johann Rudolf Frech. Es wurde 1873 elektrifiziert. Die Unruh befand sich im "Haus zum Rüden".
1972 wurde eine vollautomatische Hauptuhr eingebaut, 1996 dann das alte mechanische Uhrwerk stillgelegt. Seither steuert ein zentraler Computer die vier grossen Zeiger direkt.
Früher zeigte die Turmuhr die Zürcher Lokalzeit an, nach der sich alle anderen Uhren der Stadt zu richten hatten.
🕊️ Glockenguss: Freitag, 15 Uhr
In der Tradition vieler Glockengiessereien erfolgt der eigentliche Guss freitags um 15 Uhr. Diese Uhrzeit ist bewusst gewählt: Sie entspricht der überlieferten Sterbestunde Jesu Christi am Kreuz.
Der Gussakt ist technisch anspruchsvoll: Die Bronze wird stundenlang geschmolzen und bei exakt berechneter Temperatur in vorbereitete Lehmformen gegossen. Punkt 15 Uhr wird das Metall eingegossen. Anwesende erleben diesen Moment oft in respektvoller Stille.
Diese Tradition ist kein Muss, wird aber von vielen Glockengiessern bis heute gepflegt – insbesondere bei kirchlichen Aufträgen.
🎵 Warum 435 Hertz?
Viele Kirchenglocken sind nicht auf A = 440 Hz, sondern auf A = 435 Hz gestimmt. Dieser tiefere Kammerton wurde 1859 in Frankreich als offizieller Standard festgelegt ("Diapason normal") – unter Napoleon III.
Der Grund war einheitliche Stimmung und bessere Singbarkeit in Opern und Kirchenmusik. Auf der Wiener Tonhöhenkonferenz 1885 wurde A = 435 Hz international empfohlen und später sogar im Versailler Vertrag 1919 verankert.
Da Glocken nicht umgestimmt werden können, sind viele Kirchengeläute bis heute auf 435 Hz gestimmt. Es ist ein bleibender Klang der Geschichte.
🎧 Und was ist mit 440 und 438?
Der heute übliche Kammerton A = 440 Hz wurde 1939 auf einer internationalen Konferenz vorgeschlagen und 1955 von der ISO als Norm definiert.
Einige Orchester weichen davon bewusst ab:
Die Wiener Philharmoniker stimmen seit Jahrzehnten bei 438–443 Hz, um eine warme Klangfarbe zu erzielen.
Historische Aufführungspraxis nutzt je nach Epoche 415 Hz (Barock), 430 Hz (Klassik) oder 435 Hz (Romantik).
Kirchenglocken folgen keiner ISO-Norm. Ihr Klang richtet sich nach Gussjahr, Material und historischer Stimmung.
🎶 Warum Glocken auf 435 Hz bleiben
Ein Grund, warum viele Glocken auch heute noch bei 435 Hz erklingen: Glocken lassen sich nicht nachträglich umstimmen. Ihre Tonhöhe ist physikalisch festgelegt durch Grösse, Gewicht und Materialstärke. Wer ein Geläut von 1850 um eine neue Glocke ergänzen will, muss diese passend zu den bestehenden Glocken auf 435 Hz gössen lassen.
Diese Praxis sorgt dafür, dass auch neue Glocken sich harmonisch in historische Geläute einfügen. Der tiefere, warme Klang bleibt erhalten.
🔔Glockenklang als Gedächtnis
Die Klangfarbe einer Glocke ist das Resultat jahrhundertealter Handwerkskunst. Form, Profil, Bronzeanteil und Wandstärke bestimmen nicht nur den Grundton, sondern auch die Obertöne.
Dass viele Glocken noch auf 435 Hz erklingen, verleiht ihnen eine gewisse klangliche Ruhe und Tiefe. Es ist ein Klangbild, das nicht mit der Musikindustrie konkurriert, sondern Zeit und Raum öffnet. Glocken erinnern, mahnen, begrüssen. Sie markieren das Vergehen der Stunden und das Bleiben der Erinnerung.
St. Peter ist dabei ein Beispiel unter vielen. Doch die Kombination aus Bauform, Eigentumsstruktur, liturgischer Funktion und Glockenklang macht ihn zu einem besonders eindrucksvollen Zeugnis europäischer Kirchengeschichte.










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